Gleichzeitig erhalten Sie einen interessanten Eindruck vom aktuellen Zustand der Werbebranche, zeigt doch die neue Benz-Werbung den bärtigen Vati (vermutlich)und dessen Tochter glückselig in wallenden Damengewändern.

Die Aussage des Textes, „man habe das Familienauto neu erfunden“, sollte wohl eher aussagen, „man habe die Familie neu erfunden“. So ist die Anzeige exakt so originell, wie man sich im Ausland deutsche Werbung seit jeher zu Recht vorstellt. Total lustig und hintersinnig eben. In der nächsten Anzeige krabbelt vermutlich Guildo Horn im beigen Faltenrock mit freiem Oberkörper über die Dachreling. Für das Geistige ist in der aufgeschlossenen Republik eben stets gesorgt.

Das gilt freilich auch für die Medienbranche. Vielleicht wirkt sich das Bildchen mit der furchtbar subtilen Botschaft ja auf die Absatzzahlen der Marke genauso aus, wie die mit viel Fantasie angereicherten Texte, die sich in mancher Zeitung finden.

Den Druckexemplaren kann man zwar prima ausweichen, auch wenn die Anzahl verzweifelter Verteiler von Gratisexemplaren der Süddeutschen oder der ZEIT in den Bahnhöfen weiterhin anzusteigen scheint. Das Umschiffen anderer Medien ist schwieriger geworden. So ist es dank allerorten flimmernder Bildschirme zunehmend problematisch, sich debiler Werbung aber auch Nachrichten wie „Ist Heidi wieder schwanger?“ oder „Warum Angela Merkel so beliebt ist!“ vollends zu entziehen.

So hat jede Zeit ihre guten Seiten. Sorgte früher der Abschaltknopf für finale Ruhe, so genügt heute meist der Blick in eine Zeitung, um zu wissen, was in fast allen anderen steht. Da sich die Inhalte und der Grundtenor auch im Zeitverlauf kaum zu verändern scheinen, genügt circa ein Exemplar pro Jahr. „Trump ist doof“ und „die Welt geht unter“ decken derzeit etwa 80% der Presseerzeugnisse ab. Für weiteren Schlamassel ist in der Regel Russland verantwortlich.

Journalistisch betrachtet ersetzt die bunt variierte Einfalt - wie in der Systemgastronomie - die alte Vielfalt. Wer sich angesichts des zeitgeistorientierten Textens fragt, welche Qualifikationen beim Ergreifen des Journalistenberufs heutzutage gefordert sind, dem sei als Einstieg ein Blick auf eine Zusammenstellung für den Deutschunterricht empfohlen. Hier eine kleine Auswahl aus dem Papier „20 Fragen für zukünftige Journalisten“:

Reuters, AP, dpa, SDA sind

a)    Zensurstellen
b)    Nachrichtenagenturen
c)    Papierfabriken

Wie heißt die Frontseite einer Zeitung?

a)    Die Erste
b)    Die Kriegsberichterstattung
c)    Die Werbung

Wer sich berufen fühlt, kann hier weiterrätseln: http://www.deutschunddeutlich.de/contentLD/GD/GEx75jJournalist.pdf

Ach, das ist ja nur für den Schulunterricht. Da sollte man die Fragen doch eher einfach halten - wobei es im Zeitalter der abgeschafften Leistungsbeurteilung ohnehin keine Rolle mehr spielt, ob jemand etwas richtig, falsch oder gar nicht beantwortet.

Daher wenden wir den Blick auf den „Wissenstest für Nachwuchsjournalisten“, den man offenbar für ein Volontariat bei der Deutschen Presseagentur (dpa) absolvieren muss. Auch hier eine Auswahl:

Frage: Was haben „Magna Carta“ … “Holy Grail” und “4:44” gemeinsam?

Antwort: Es sind Alben von Jay Z.

Natürlich sind die Fragen frei jeglicher politischer Färbung oder Schwerpunktsetzung.

Frage: Wodurch – außer durch ihre Schauspielkunst – wurde Alyssa Milano im Herbst 2017 bekannt? Und was hat das mit Anne Wizorek zu tun?

Antwort: Milano initiiert die „#MeToo“-Kampagne. Anne Wizorek erfand den Hashtag #aufschrei

Prima, das kann der frischgebackene Journalist dann bei der nächsten Pressekonferenz in Beijing gleich mal Herrn Xi fragen. Der Begriff Schauspielkunst ist für eine Dame, die ihre Klasse in so aufrüttelnden Serien wie „Melrose Place“ und „Charmed – Zauberhafte Hexen“ zeigen durfte, hier wohl eher inklusiv zu verstehen. Achten Sie bitte künftig im Supermarkt auf die Rechenkunst der Kassierer und die Mess- und Wiegekunst an der Käsetheke! Frau Wizorek ist offensichtlich allein durch den von ihr beigesteuerten Hashtag bekannt. Wo nicht einmal eine Verbindung zu einer Seriendarstellerin besteht, dort konstruiert der moderne Journalist diese eben einfach und erwähnt sie dann.

Es lohnt sich, alle Fragen auf sich wirken zu lassen, sei es nur um einen Eindruck von der Themenauswahl zu bekommen: https://meedia.de/2018/01/11/wissenstest-fuer-nachwuchs-journalisten-haetten-sie-das-zeug-zum-dpa-volontaer/#0-1

Angesichts der überaus bemerkenswerten Zusammenstellung an Fragen durch die dpa wundert sich wohl niemand mehr über den aktuellen Zustand weiter Teile der Presselandschaft. Immerhin droht angesichts der bodennahen Anforderungen in dieser Branche ganz sicher kein Fachkräftemangel.

Immerhin haben so auch die immer länger dauernden Aufenthalte in den Wartezimmern der Arztpraxen ihre guten Seiten. Mit viel Glück findet sich auf der Rückseite des einen oder anderen Magazins eine ganz erfrischend kreative Werbung eines deutschen Automobilherstellers. Und beim nächsten Arztbesuch zieht Onkel Walter dann vielleicht auch endlich mal das Blümchenkleid von Tante Uschi an und hört dabei Jay Z.

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